
Gleich geht eventuell das Internet kaputt. Denn ich schreibe etwas zum Thema „Tempolimit“.
Aber bevor ich etwas darüber schreibe, will ich kurz erzählen, wie ich überhaupt zum Automobil stehe.
Als Kind hätte man mich zu „Wetten, dass…?“ schicken können, weil ich Autos am Türenzuschlaggeräusch erkennen konnte. Ich kannte und kenne die Lebensläufe und die Meilensteine einiger bedeutender Designer. Von Paul Bracq über Wilhelm Hofmeister und Flaminio Bertoni. Mercedes /8, BMW 2800 CS, Citroen DS – die Göttin.
Früher habe ich viel Zeit in Autohäusern verbracht und alle Kataloge gesammelt, die kriegen konnte. Autos haben mich schon immer fasziniert.
Ich habe ganze Wochenende auf der IAA in Frankfurt verbracht und mit Designprofessoren über Sicken und Fensterflächen gefachsimpelt.
„Auto“ war mein erstes Wort.
Heute fahre ich die meiste Zeit Fahrrad, Wetter ist mir egal. Regen, Schnee, Sonne, ich fahre immer.
Bei längeren Strecken, also Strecken über 30 Kilometer, nehme ich Bahn, selten nehme ich das Auto.
Ich habe einen schraddeligen VW Bus mit bald 270.000 Kilometern auf der Uhr, den ich so selten wie möglich fahre, weil es ein alter Diesel ist.
Ein zerkratzter Bus, mit dem ich hin und wieder in den Urlaub ins europäische Ausland fahre – wenn ich nicht gerade das Fahrrad nehme. Oder wenn Corona es unmöglich macht.
Der Bus ist ein fahrendes Bett, eine fahrende Transportmöglichkeit und eine prima Abstellkammer.
Und er ist ein Relikt.
Am liebsten höre ich beim Autofahren Radio (DLF, NDR Info) oder gute Musik und lasse mich treiben.
Ich fahre nicht gern am Limit, bin tatsächlich nie gern schnell gefahren. Die einzigen Punkte, die ich in Flensburg habe, habe ich fürs Fahrradfahren bekommen, in meinem Leben wurde vielleicht drei Mal geblitzt, auf jeden Fall häufiger abgeschleppt.
Ich fahre immer so, dass ich das Gefühl habe, niemanden zu stören. Weder hinter, noch neben und schon gar nicht vor mir. Ich fahre zügig. Umsichtig. Vorsichtig.
Und fahre immer meinen Gedanken hinterher.
Am liebsten fahre ich auf einsamen Straßen, habe es dabei nicht eilig, es ist kalt und die Sonne scheint. Geschwindigkeitsbeschränkungen sind für mich keine Qual und kein ungefährer Richtwert für andere, sondern für mich selbstverständlich. Das ist mein krasser mobiler Lebensstil: NDR Info hören und mich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten.
Ach so: ich schimpfe viel, wenn ich im Auto sitze.
Ich bin schon in ziemlich vielen Ländern Auto gefahren, weiß, wie es ist, nach ein paar Wochen Tempolimit die Landesgrenze nach Deutschland zu überfahren und sofort den Stress zu spüren, weil sehr viele Menschen das Schild „Bundesrepublik Deutschland“ als Anlass nehmen, das Gaspedal sofort durchzutreten. („So, jetzt aber! Endlich zu Hause! Hallo Deutschland! Hallo Hubraum!“ Mach ma Platz!“)
Ich bin schon die unterschiedlichsten Autos und Autotypen gefahren, Kleinwagen, Hybridwagen, Sportwagen, Kleinlaster, Wohnmobile, Luxuslimousinen, Oldtimer.
Und ich habe natürlich auch Traumautos, am liebsten hätte ich einen alten Saab. Oder einen alten Volvo. Oder einen alten Citroen.
Am allerliebsten hätte ich zu meinem Traumauto natürlich auch die Zeit, das Autofahren so zu genießen, wie ich es mir vorstelle und nicht bei jedem Klappern, Quietschen oder Schleifen und bei jedem Schluck Treibstoff, den ich verbrauche, nervös zu werden.
Und mir mal keine Sorgen zu machen.
Soviel zu mir. Ich bin keine 1, aber auch keine 6.
Jetzt schnell zum Tempolimit.
Das Auto ist neben Bier die heilige Kuh der Deutschen: Eine mit Technik, Kraft und Assistenzsystemen vollgestopfte heilige Blechkuh.
Hat man doch immerhin das Auto hier erfunden.
Kein Wunder, dass das Auto der Stolz der Nation ist. Motor des Wirtschaftswunders. Vollgas. Statussymbol. Beschleunigung. Reisen. Strecke. Liebe. Und noch viel mehr.
Das Auto ist auch Ausdrucksmöglichkeit des sozialen Status. Es ist Objekt der Begierde, es ist für viele Menschen ein erfüllbarer Traum. Nicht wenige verschulden sich stark für ihr Traumauto mit Alufelgen und Metallic-Lack.
Das Auto ist für Deutschland ein gigantischer Wirtschaftsfaktor, es ist die dicke, heilige, schöne, schnelle, funktionierende, gut klingende, mit erotischen Linien versehene, auf Hochglanz polierte Kuh. Eine mit perfekten Spaltmaßen, einem durchzugsstarken Motor und bestenfalls Neuwagengeruch.
„Autofahren ist Freiheit!“
Viele Menschen, nahezu egal, aus welchem politischen Lager, aus welcher sozialen Schicht, setzen Autofahren lautstark mit Freiheit gleich.
Davon abgesehen, dass diese Leute sich erstmal zwei Tonnen Technik und Blech für einen hohen fünfstelligen Betrag ans Bein binden, ist das Wort „Freiheit“ ein bisschen zu groß für die linke Spur.
Ist jedenfalls meine Meinung.
Man kann und muss darüber diskutieren, ob die heutige „Freiheit“ hier nicht auch mit grenzenlosem Spaß, Egoismus und Hedonismus verwechselt wird. Auch wenn der Begriff zu Zeiten des Wirtschaftswunders bis zur Ölkrise eine andere und tiefere Bedeutung hatte, weil die Deutschen das erste Mal weiter weg fahren konnten. Italien. Frankreich. Spanien. Europa. Anderes Geld, anderes Wetter, anderes Bier.
Also war die gefühlte Freiheit eigentlich eher die Größe der Entfernung.
Viele fahren Auto, um den Erinnerungen, der Leichtigkeit hinterherzufahren. Im Auto war alles gut. Man ist auf der Rückbank aufgewachsen, der Führerschein war eines der ersten Lebensziele. Das erste Auto vergisst man nie.
Auto ist natürlich auch Politik. Und Lobbyismus. Auto ist Macht. Auto ist Arbeit. Auto ist Versagen. Auto ist Begeisterung. Auto ist Verehrung. Benz. Porsche. Piech. Röhrl. Schumi. Und natürlich Andi Scheuer. (Augenverdrehen.)
Auto ist auf jeden Fall Reizthema. (Wird man wahrscheinlich auch wieder an den Reaktionen dieses Beitrages sehen.)
Es gibt sehr viele Seiten im Netz, die sich mit dem Pro und dem Contra zum Thema Tempolimit auseinandergesetzt haben – da bin ich nicht der Erste. Natürlich nicht.
Die meisten Seiten setzen sich mit dem Tempolimit auf deutschen Autobahnen auseinander, es geht dabei konkret um das Tempolimit von 130 Km/h.
Zur schnellen Einordnung: Auf 7.640 deutschen Autobahnkilometern gilt derzeit ein Tempolimit.
Auf 18.150 Kilometern gilt die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h.
Zum Thema Richtgeschwindigkeit drücken wir mal eben das Gaspedal durch und fahren in den Februar 1974.
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„Im Februar 1974 – drei Monate nach dem Höhepunkt der Ölkrise mit den vier „autofreien Sonntagen“ in Deutschland – startete der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) unter seinem Präsidenten Franz Stadler eine Kampagne mit dem Titel „Freie Bürger fordern freie Fahrt“, die sich hauptsächlich gegen den im November 1973 gestarteten viermonatigen Tempo-100-Großversuch auf den Bundesautobahnen richtete. Da sich viele ADAC-Mitglieder nicht mit diesem Slogan anfreunden konnten, hatte die Kampagne eine Austrittswelle zur Folge.
Erfolg der Kampagne war, dass statt eines generellen Tempolimits von 100 km/h auf den Autobahnen eine unverbindliche Richtgeschwindigkeit von 130 km/h eingeführt wurde.“ (Quelle: Wikipedia)
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Deutschland ist das einzige Industrieland auf der Welt, in dem man streckenweise so schnell fahren kann, wie man will. Und die Politik wurde beim Thema Tempolimit schon mal hart ausgebremst.
Ich habe mich ein bisschen durch das Netz gewühlt. Generell gilt: Für jedes Pro gibt es ein Contra. Für jedes Contra ein Pro.
Hier sind noch ein paar Links zum Thema.
1. Was Deutschland.de sagt:
https://www.deutschland.de/de/topic/leben/tempolimit-in-deutschland-pro-und-contra
2. In aller Kürze: Sechs Gründe für und gegen ein Tempolimit:
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.geschwindigkeit-auf-autobahnen-sechs-gruende-fuer-und-gegen-ein-tempolimit.e3805741-5b7f-478f-a60a-5217e84d43e3.html
3. Kontroverse Meinung einer Autozeitung:
https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/tempolimit-130-autobahn-fakten/
4. Fakten, vom ZDF gesammelt:
https://www.zdf.de/nachrichten/heute/im-ueberblick-was-ein-tempolimit-fuer-den-klimawandel-die-verkehrssicherheit-und-den-verkehrsfluss-bringt-102.html
Meine Meinung:
Ich bin ganz klar für ein Tempolimit. 120 Km/h auf Autobahnen. 50 Innerorts, 80 Außerorts.
Und in Städten muss dringend eine Verkehrswende her. Viel mehr Radwege, ÖPNV bestenfalls gratis, Autos raus aus den Innenstädten. Umdenken!
Wir müssen uns dringend bewegen, brauchen schlaue Konzepte, die digitale und analoge Bewegung perfekt miteinander verbinden. Und dabei natürlich maximal klimafreundlich und nachhaltig sind.
In mir ist eine Stimme, die die Menschen versteht, die jetzt ganz viel „aber aber aber“ sagen. Und dieser Stimme sage ich: „Denk mal nicht nur an dich und deine Bequemlichkeit, die Heizungsluft, den Geruch von Benzin, warmgefahrenen Reifen und an Geschwindigkeit. Sondern auch an die Zukunft.“
Drei Dinge, die ich angehen würde, wenn ich jetzt entscheiden könnte:
1. Dynamik.
Ich würde als ersten Schritt ein partielles Tempolimit einführen, das auf empirischen Daten beruht. Beispiel: Wenn auf einem bestimmten Streckenabschnitt zu einer bestimmten Zeit wenig los ist, kann man da ohne Tempolimit fahren. Ist da viel los, gibt es ein Tempolimit. Das wäre also eine dynamische Regelung. Die, wenn Deutschland smart wäre, digital ausgesteuert werden könnte. (Ist so ähnlich in dem Auto-Motor-Und-Sport-Bericht abgebildet.)
Nicht alle, aber sehr viele wären zufrieden. Und es wäre ein Anfang. Und den könnte man schnell realisieren.
2. Mut.
Wenn man Dinge nicht vorantreibt, bleibt man stehen. Und die deutsche Automobilindustrie hinkt momentan eh sehr stark hinterher.
Da kann man nicht nur ein bisschen nach vorne denken. Man muss! Die deutsche Automobilindustrie steht mit dem Arsch an der Wand.
Man hat „die Japaner, die ja nur kopieren“ lange belächelt und „die Amerikaner mit ihren Computern und der schlechten Verarbeitung“ sowieso.
Heute baut Tesla in Brandenburg eine gigantische Fabrik. Für Tesla ist die E-Mobilität nur ein Zwischenschritt zur Autonomie, während Deutschland im Innovationsstau steht und sich auf dem Erfindergeist von 1886 ausruht.
Kurzer Schritt zur Seite: Sogar die Post hat (zusammen mit dem Tochterunternehmen StreetScooter aus Aachen) ein E-Mobil auf den Markt gebracht – weit bevor die großen deutschen Marken mal was Vernünftiges auf die Straßen gestellt haben. Das ist nach vorne gedacht. Von der Post (!)
Zurück zum Mut: Autonomes Fahren? Mikromobilitätskonzepte? Sinnvolle Verkehrswenden? Ideen, die die „Freiheit“ in der Mobilität neu definieren? Digitalisierung? Fahrfähigkeitstests im Alter – und Konzepte für Alte? Tja.
Je weiter man nach vorne denkt, desto weniger braucht man die Autobahn, wie sie heute das Land wie Krampfadern durchzieht. Und desto weniger brauchen Menschen die vermeintliche Freiheit, das Gaspedal voll durchzutreten.
Mut bedeutet aber auch, Dinge neu, konsequent und anders zu denken.
Vor allen Dingen müssen sich ein paar schlaue Köpfe mal über die viel bemühte „Freiheit“ Gedanken machen und sich gut überlegen, was die Freiheit von heute ist. Denn meiner Meinung nach richtet sich man an sich an der Freiheit von gestern aus – und das kann es nicht sein, wenn man eigentlich nach vorne will.
3. Konsequenz.
Wer mit der eigenen Interpretation von „Freiheit“ nicht vernünftig umgeht und so die Freiheit anderer beschneidet, bekommt echte Konsequenzen zu spüren. Und zwar schnell. Wer nicht diszipliniert ist, gibt den Schlüssel ab.
Wer auf Autobahnstrecken, die tempomäßig limitiert sind, deutlich zu schnell fährt, verliert den Führerschein.
Wer den Führerschein verliert, kann ihn nach einer zweijährigen Denkpause noch einmal machen.
Die Probezeit für diese Leute beträgt fünf Jahre. Wer in der Probezeit wieder zu schnell fährt, verliert den Führerschein dauerhaft.
Das Auto wird ab einer bestimmten Schwere des Vergehens einkassiert und versteigert. (Mit dem Geld werden Blitzer finanziert, Mobilitätskonzepte verwirklicht und Unfallopfer entschädigt.)
Und ab einer bestimmten Schwere des Vergehens gibt es Freiheitsstrafen – allerdings sehr viel früher und konsequenter als heute.
Auch Innerorts, Außerorts und auf Landstraßen ist der Führerschein schnell weg, wenn man nicht diszipliniert fährt.
Zack. So schnell geht das. Wer Freiheit und Geschwindigkeit will, muss damit umgehen können. Nicht nur fahrtechnisch. Auch emotional.
So gibt es ganz schnell einen neuen Umgang mit Geschwindigkeit und Tempolimit, auch wenn jetzt sehr wahrscheinlich geschrien wird: „Das ist ja schlimmer als in China!“, „Überwachungsstaat!“
Aber auch das ist Freiheit: Denkfreiheit.