
Glückliche, voll ausgestattete Menschen (meist Männer), die extra aus Dänemark, aus Bochum, aus Ludwigslust, aus Meppen, aus den Niederlanden, aus Brandenburg, aus Dresden, aus Goslar, aus Kiel, aus Aachen, aus Gießen und sonst woher in die Stadt gekommen sind.
Sie sitzen auf Maschinen, die so sauber sind, dass man auf ihnen ganz locker eine Weisheitszahn-OP durchführen könnte – wenn es nicht so sehr scheppern und zittern würde.
PÖTTERPÖTTERPÖTTERPÖTTER.
Sie fahren 73er Flatheads, 66er Shovelheads, 47er Knuckleheads und selbstverständlich auch 51er Panheads.
Genau wie in dem Film, der das Unternehmen Harley Davidson damals eher zufällig vor dem kompletten Ruin gerettet hat.
Cliff Vaughs und Benjamin F. Hardy haben für den Kultfilm „Easy Rider“ zwei Panheads (ehemalige Polizeimotorräder) zum „Billy Bike“ und zum „Captain America“ umgebaut.
Das waren die Namen der Maschinen, die Dennis Hopper und Peter Fonda in dem Film gefahren sind – und zwar direkt in die Herzen von vielen Ölfingern, Bastlern, Hippies, Freaks, Rockern und ambitionierten Versicherungsvertretern.
PÖTTERPÖTTER–PTPTPTP–PÖTTER–PTBLOAR–PÖTTER.
Durch den Film ging der Umbau zu Choppern und Cruisern der Motorräder aus Milwaukee, deren Design sich seit 1909 kaum geändert hat, erst richtig los. Ledergriffe, Chromteile, Fender, Speichen, Deckel, Klappen, Lack, Windschilder, Gabeln, Lampentöpfe, Sitzbänke, Felgen…es gibt wahrscheinlich mehr Möglichkeiten, seine Harley zu modifizieren als es Staubkörner entlang der Route66 gibt.
Dieses Jahr feiert Easy Rider seinen Fünfzigsten.
Das passt ganz gut, denn 50 ist auch ungefähr das durchschnittliche Alter der Teilnehmer des größten, lautesten, anstrengendsten Motorradfestivals des Universums: den Harley Days in Hamburg.
Zig tausend Maschinen, bis zu 600.000 Zuschauer, drei Tage Vollgas.
Und jede einzelne Sekunde ist durch den Kommerzfilter gelaufen.
Es gibt Harley-Davidson-Konzerte, Harley-Davidson-Grillwürste, tausend Merch-Stände, Harley-Davidson-Jacken, Harley-Davidson-Kalender, Harley-Davidson-Shirts, Harley-Davidson-Gymnastikbälle, Harley-Davidson-Gummibärchen, Harley-Davidson-Luftballons, Harley-Davidson-Grillgewürz, Harley-Davidson-Bier, Harley-Davidson-Bohrmaschinen, Harley-Davidson-Zahnarztkittel, Harley-Davidson-Lichtschalter, Harley-Davidson-Versicherungen, Harley-Davidson-Blasentee, es gibt alles.
Der Film, der all das ausgelöst hat, ist ein Stück Menschheitsgeschichte geworden. Ganz einfach, weil er Menschen bewegt.
Dieses Roadmovie hat dem Wort „Freiheit“ die Spur neu eingestellt.
PÖTTERPÖTTERPÖTTERPÖTTER.
Aus Chrom, Lack, Öl und ein bisschen „egal, wir machen das jetzt“ wurden Träume mit Fransen.
Phantasien, die, vom Fahrtwind angetrieben, in alle Richtungen flattern wie die speckigen Fetzen an einer Lederjacke.
Es ist so einfach: Stiefel auf die Fußrasten, Maschine starten und sich voll und ganz der relativ schlechten Verarbeitungsqualität hingeben.
Grüne Ampeln. Schulterklopfen. Daumen hoch. Freiheit.
Dazu „Born to be wild“ von Steppenwolf und eine Straße, die möglichst geradeaus geht.
Kredite für den Sharan? Ein neuer Geschirrspüler? Schuhe für die Kinder? Die nörgelnde Ehefrau? Fenster putzen? Brötchen aufbacken? Kurven?
Bloß weg hier, raus aus dem Scheiß. Wenigstens einmal im Jahr.
Nach vorne. Egal, wohin, wird schon. Irgendwie.
Das verchromte Endrohr als Lebensgefühl.
Einfach mal alles hinter sich lassen, aber bitte laut und mit einem gewissen Stil.
Dieses eine Gefühl ist für viele das Fundament aller Gefühle.
Freiheit beginnt mit einem Furz auf die Sattelbank und einem Dreh am Gashahn.
VROOOOOAAAAAARRRRR VROOOOOOAAAAAARRRRR.
Im Tunnel nochmal schön am Hahn reißen, den Hobel auf 5.000 Touren peitschen, bis die Kacheln von der Wand platzen.
Die Harley Days versprechen das bisschen Freiheit.
Mal ein paar Tage aufdrehen.
Rocker sein.
Also auch mal bei Spätgrün über die Ampel. Auch mal die Ellenbogen auf dem Tisch haben. Auch mal eine Fanta bestellen und keine Apfelsaftschorle wie sonst. Auch mal abends ohne Zähneputzen ins Bett.
Das ist wie Fernseher aus dem Hotelzimmer werfen. Also fast.
Das ist wie am Hotelbuffet stehen und sich Saft einfüllen und direkt trinken und sich danach nochmal Saft einfüllen. Das ist schon ein bisschen Outlaw.
Es sei ihnen gegönnt, wirklich.
Andere gehen auf Elektro-Festivals, sammeln Briefmarken, umarmen Bäume, laufen einen Marathon oder gehen zusammen mit 50.000 anderen Fußballfans ins Stadion.
Sollen sie alle machen. Jeder so wie er will.
Leben und fahren lassen.
Hamburg ist zwar drei Tage lang lahmgelegt und sehr, sehr stickig und laut, aber die Leute sind glücklich. Die Quetschgesichter, eingedrückt ihn ihre Ameisenhelme, strahlen um die Wette. „Ey! Guck mal, mein Vergaser!!!“
Davon abgesehen, bringen die Truppen ordentlich Geld in die Stadt.
Hotels, Restaurants, Orthopädiefachgeschäfte: alles überlaufen.
VROO…. – SPROTZ – KLACK – FFFFFFIIIIIIIUUUUUU – TZSSSSSST
Aber eine Sache geht nicht.
Ein Zubehörteil zerstört den kompletten Mythos wie ein Kolbenfresser das Herzstück.
Navigationsgeräte am Harley-Lenker.
Echt jetzt?
Das ist so, als würde man auf das Fusionfestival gehen, um da ganz in Ruhe seine Steuererklärung zu machen – zur Musik von Frei.Wild.
Und danach schön ein paar Oberhemden bügeln.
Das Navigationsgerät am Harley-Lenker ist, als würde der Wendler demnächst die Tagesthemen moderieren.
Als würde Peter Maffay nächste Saison für die LA Lakers spielen.
Als würde ein Hells Angel mit Gesichtstattoo das nächste Testimonial für Kinder-Schokolade werden.
Das Navi am Harley-Lenker macht aus Rockern kleine Männchen, die Angst vor Akkuschraubern haben.
Weichheinis, die nicht wissen, wie man ein Fahrrad flickt, die den Döner ohne Zwiebeln bestellen und die bei Haribo Colorado die Lakritze aussortieren.
Hilflose Männchen, die sich Monate vor dem Event ein Hotelzimmer buchen. („Aber möglichst hinten raus, da ist es ruhiger. Und bitte kein Boxspring-Bett, das macht der Rücken nicht mit. Ist der Badezimmerspiegel beleuchtet? Was haben Sie für Frühstück? Gibt es da auch frisches Obst? Und Multivitaminsaft? Und haben Sie einen Feel-Good-Manager?“)
Das macht alles kaputt.
Ein Navi am Harley-Lenker ist nicht Jack Daniels. Das ist Jack Wolfskin.
Das ist nicht 20W-50, das ist Sagrotan.
Das ist nicht Asphalt, das ist Excel.
Das ist nicht „Easy Rider“. Das ist ZDF Fernsehgarten.
Was kommt als nächstes? Ein gelbes Regencape?
Freiheit, wie von der Marke versprochen und vom Film in die Köpfe und Herzen gebracht, heißt nämlich auch, sich mal zu verfahren.
Die Dinge so nehmen, wie sie kommen. „Egal. Wird schon irgendwie.“ Freiheit beginnt im Kopf.
Nicht auf 300 Kilo schepperndem Blech und ein paar Produkten aus dem Merchandising-Shop.
Harley fahren heißt höchstens mal einen zerknitterten Faltplan, der noch auf dem Stand von vor ´89 ist, aus der Satteltasche ziehen – den Plan, den man sonst als Unterlage zum Jointbau nutzt.
Oder ganz vielleicht mal irgendjemanden nach dem Weg fragen und sich mit einer Kopfnuss bedanken. Oder wenigstens mit einem Rülps, der nach Bier und BBQ-Sauce schmeckt. Und somit wenigstens ein kleines bisschen nach Freiheit und Outlaw.
Aber Freiheit im Sinne einer Marke wie Harley Davidson heißt garantiert nicht: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“
Genialer Text, wunderbare Idee, toll geschrieben.
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So what? Ansichtssache eben. Dachte mir schon die ganze Zeit (und weil das Foto gleich am Beginn des Artikels war): Wann kommt er auf den Punkt? Die Pointe? – Aber kann das als Non-Biker wohl gar nicht nachvollziehen. Leben und leben lassen.
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